Radreise durch Äthiopien – Von Aksum zum Debre Damo Kloster (Teil 1)

Mit dem Fahrrad durch Äthiopien. Diesen Traum wollte ich mir schon lange einmal erfüllen und so war es schließlich einmal an der Zeit die Taschen zu packen und es einfach zu tun. Es sollte mein Geburtstagsgeschenk werden. Man sollte sich häufiger mal etwas Besonderes gönnen dachte ich mir als ich mich nur zwei Tage nach meinem Ehrentag auf den Sattel schwang. Was dabei raus kam war vielleicht die schönste Reise meines Lebens durch dieses unbekannte Land am Horn von Afrika.
Ganz alleine, nur ich und mein neues Tourenrad, so war der Plan, doch dem ist weit gefehlt im dicht besiedelten Äthiopien. Doch vom Sattel aus erlebt man eine andere Nähe als die gewohnte. Teilweise Überraschung über den, der dahin gefahren kommt. Freude über diesen Verrückten, der schweißgebadet die Berge hochradelt. Manchmal aber auch Wut, weil ich etwas tue was kaum jemand hier in Äthiopien macht: Rad fahren. Im Wirrwarr dieser Emotionen entstand während der Reise ein Erlebnis mit Äthiopien auf eine ganz besondere Art. Herzliche Begegnungen wechselten sich ab mit einsamen Momenten, Freude schlug um in Frust, Zufriedenheit stellte sich ein, altbekannte Landschaften kamen mir im langsamen Reisetempo noch viel majestätischer vor als je zuvor.

radreise äthiopien

Die Adwa Berge sind ein Überbleibsel vulkanischer Aktivität in Nordäthiopien  | Foto: Christian Sefrin

Ich liebe die Bergwelten Nordäthiopiens. Fast an der Grenze zu Eritrea lichten sich die mächtigen Basaltlandschaften und Jahrmillionen alte Sandsteine treten zu Tage. Bearbeitet von Wind und Wetter formen sie Tafelberge aus Rot und Weiß gemusterten Sandsteinen. Immer wieder bilden sich bizarre Gesteinsformen, regelrechte Steinnadeln, die die über dutzende Meter in den stahlblauen nordäthiopischen Himmel spitzen, umgeben von flachen Ebenen. Jetzt im August steht das Ende der Regenzeit bevor. Die Regenfälle reduzieren sich auf lediglich ein paar Stunden alle paar Tage. Nichts was den Radfahrer ernsthaft davon abhält in die Pedale zu treten. Im Gegenteil die Ebenen leuchten in sattem Grün und der Regen lässt die ersten Gräser sprießen im sonst eher staubig trockenen Norden. Die Bauern bestellen die Felder. Ein Spiel für die Sinne. Ich werde in den kommenden Wochen die frühen Morgenstunden auf dem Rad lieben lernen. Die Morgenfrische bläst mir ins Gesicht, ich gehe das Radeln langsam an und genieße das Beobachten am Straßenrand. Vögel lieben die kühlen Temperaturen und sind vom Rad bestens zu sehen und ihre Gesänge zu hören.

radreise äthiopien

Schroffe Landschaften im Tigray sind ein Schauspiel für die Sinne | Foto: Christian Sefrin

Von Aksum habe ich zunächst das Debre Damo Kloster als Ziel, eines der ältesten Klöster des Landes, dessen Gemäuer einst bis zu 300 Mönche bewohnten. Als ich den Angestellten in meinem Hotel in Aksum von diesem Plan erzähle, erklären Sie mich schnell mit einem zärtlichen Lächeln für verrückt ohne zu wissen, dass dies ja nur eine von zahlreichen Etappen sein wird. Ich frage mich, was Sie sich eigentlich denken, warum ich mir die Mühe gemacht habe mein Rad hierher mitzubringen. Nur zum Parken und waschen ja wohl eher nicht. Für die ersten Etappen kann ich zunächst nicht einschätzen wie sehr mich das Auf und Ab durch die Berge hier im Tigray auf durchschnittlich etwa 2000 Höhenmetern fordern wird, weshalb ich den Weg zum Ziel erkläre und mir weniger fest Tagesetappen plane.
So kommt es auch, dass ich nach nur 20 km Talfahrt in der Stadt Adwa schon das erste Quartier beziehe. Es ist noch früh am Tag und ich nutze den Nachmittag einen Tagesausflug zum Abba Gerima Kloster zu machen. Es trohnt etwa 15 km außerhalb Adwas auf einem Tafelberg. Von hier aus planten die Äthiopier 1896 ihre Offensive für die legendäre Schlacht von Adwa in der sie als erste afrikanische Armee eine europäische besiegen sollten. Der Sieg der Äthiopier über die Italiener ist auch heute noch der Stolz vieler patriotischer Äthiopier. Um hierher zu gelangen radele ich vom Talkessel Adwas einige paar Hundert Höhenmeter hinauf in die Adwa Berge. Mein erstes Höhentraining erfolgreich bewältigt.

radreise äthiopien

Zum Ashenda-Fest singen und tanzen die Mädchen überall in den Dörfern | Foto: Christian Sefrin

Auch am nächsten Tag lasse ich der Spontanität ihren Lauf. In den frühen Morgenstunden ostwärts durch die charmanten Adwa Berge zu radeln animiert mich immer wieder anzuhalten und die Bergwelt zu genießen. Teilweise schlängelt sich die Asphaltstraße durch enge Flusstäler oder entlang von Berghängen mit Blick auf die kegelförmigen erloschenen Vulkanschlote der Adwa Berge. Die spitzen Berge hier sind anders als die eher flachen Tafeln, die man sonst im Tigray findet. Vor einigen Hunderttausend Jahren ist Lava hier an die Erdoberfläche gelangt und formte diese bizarren Schlote. Ihr bekanntester Gipfel schaut mit etwas Fantasie aus wie ein Frauenkopf mit einer traditionell nordäthiopischen Haartracht.
Heute muss ich immer wieder mit dem Rad durch Massen an jungen Mädchen manövrieren, denn es ist ashenda, Karneval der Mädchen, ein Fest welches Mitte August für eine Woche im Tigray zu Ehren der Gottesmutter Maria gefeiert wird. Es ist ihr Tag. In traditionellen weißen Kleidern gekleidet und oft mit Lippenstift dick geschminkt ziehen sie musizierend und tanzend durch die Dörfer und bekommen von den Zuhörern einen kleinen Obolus von ein paar äthiopische Birr. Ich als ferenji, so wie hier in Äthiopien Ausländer bezeichnet werden, gerate ich da natürlich schnell in den Fokus, weil man von mir möglicherweise mehr als nur ein paar Groschen erwarten kann. Letzten Endes jedoch gebe ich auch nicht mehr, denn bei der „hohen Belagerungsquote“ würde es ein teurer Spaß werden allen nur etwas mehr zu geben. An Strecke machen ist heute kaum zu denken. In den Siedlungen geht es spärlich voran. Immer wieder muss ich anhalten, zuhören und mich regelrecht freikaufen für die nächste Etappe. Schließlich beschließe ich im Straßendorf Inticho nach etwa 40 Tageskilometern meinen Übernachtungsstopp einzubauen.

radreise äthiopien

Straßenszenze zu Ashenda im Dorf Inticho | Foto: Christian Sefrin

Inticho entlarvt sich als gemütlicher Übernachtungsstopp. Es ist weniger mein Hotel welches mich trotz Warmwasserdusche und relativ sauberem Zimmer und Bett überrascht, sondern mehr die gemütliche Atmosphäre im Dorfkern. Neben der geschäftigen Asphaltstraße entdecke ich eine keine mit Kopfsteinen gepflasterte Seitenstraße von wo aus ich im Café das Bunte Treiben des Feiertages beobachten und fotografieren kann. Kontrastierend zu den schmutzigen Straßen mit ihren einfachen Stein- und Wellblechhütten ziehen immer wieder in sauberstem weiß gekleidete Frauen und Mädchen elegant entlang der Gasse. Ein Bild wie es sich in Äthiopien an den Feiertagen häufig ergibt. Ich wundere mich immer wieder wie es ihnen gelingen mag die Kleider so sauber zu halten.
Es ist nach nur zwei Tagen auf dem Rad genau diese Spontanität, die ich genieße. Ich bin relativ planlos unterwegs und lasse die Tage und Erlebnisse auf mich wirken. Ich merke immer wieder wenn ich in Äthiopien unterwegs bin, dass nicht die vermeintlichen Sehenswürdigkeiten die eigentlichen Attraktionen sind, sondern viel mehr das alltägliche Leben und bisher habe ich davon durch die langsame Reisegeschwindigkeit auf dem Rad fast mehr als je zuvor. Ich weiß nicht wie häufig ich diese Straße hier oben ich schon mit dem Fahrzeug gefahren bin, aber so intensiv habe ich die Landschaft und die Menschen hier noch nie wahrgenommen. Ich entdecke Berge, die ich noch nie vorher gesehen habe, ärgere mich über jedes Schlagloch durch das ich brettere, weil ich die Aussicht genieße und sehe das Erstaunen der Äthiopier in ihren Augen, wenn ich an ihnen vorbeiradele. Ab und an werde ich sogar vom Straßenrand angefeuert.

radreise äthiopien

Kaktusfeigen wachsen im Tigray in Massen zwischen August und September | Foto: Christian Sefrin

Ich kann den nächsten Morgen kaum abwarten, um auf das Rad zu steigen und weiterzuziehen. Schon nach wenigen Tagen unterwegs stellt sich diese Zufriedenheit ein einen simplen Plan zu haben, dem man folgen kann. Einfach nur radeln. Heute erreiche ich mittags nach nur 30 Kilometern Bizet, ein Dorf unweit des Debre Damo Klosters. Ich nutze meine Freizeit am Nachmittag, die Hügel am Dorfrand zu erklimmen und ende schließlich in einem Hain aus Kaktusfeigen in dem ich mich niederlasse, um die Aussicht zu genießen. Kaktusfeigen wachsen jetzt im August überall im Übermaß und niemand weiß wohin damit. Auf die Idee Säfte oder Marmelade daraus zu machen, um sie auf den Märkten der Städte zu verkaufen ist bisher hier in Äthiopien noch niemand so wirklich gekommen. Trotz des Übermaßes traue ich mich nicht ein paar der Süßigkeiten zu pflücken, denn immerhin sitze ich irgendwo auf dem Grundstück eines Bauern. Was wenn man mich beim Naschen hier erwischt? Nichts. Es dauert keine zehn Minuten bis ich im Dickicht der Kakteen, von Tesfaye dem Besitzer, entdeckt werde und bei einem netten Plausch über ihn und über meine Radtour ganz beiläufig mit den süßen gelblichen Feigen gefüttert werde. Es stößt auf völliges Missverständnis bei Tesfaye, dass ich bisher noch nicht das Debre Damo Kloster besucht habe. Ich müsse unbedingt am nächsten Tag aufbrechen, um es zu sehen.

radreise äthiopien

Trauerfeier am Debre Damo Kloster | Foto: Christian Sefrin

Es war eh der Plan das Kloster nochmals zu besuchen. Vor einigen Jahren war ich schon mal dort und begeistert von seiner Lage auf dem Plateau eines Tafelberges, zu dem man nur über eine etwa 15 Meter hohe Steilwand an einem Lederseil nach oben gelangt. Für mein Tourenrad wird es heute der erste Test auf Äthiopiens Schotterpisten, denn die Straße die in der Nähe von Bizet zum Kloster abzweigt führt über Piste zum Tafelberg. Anfangs hat man das Ziel greifbar zu seiner rechten Seite im Schatten der Morgensonne, doch der Weg zieht sich, da man einmal komplett um den Tafelberg radeln muss, um zum Eingang des Klosters zu gelangen. Die letzten Kilometer geht es nach der Querung eines Flussbetts nur noch bergauf. Ein erneuter Test für die Kondition, denn auf Schotter ist es etwas anstrengender zu klettern als auf Asphalt.

radreise äthiopien

Während den Frauen der Aufstieg nicht gestattet ist klettern die Männer auf den Klosterberg nach oben | Foto: Christian Sefrin

Schließlich eröffnet sich mir der Blick auf die Ostseite des Klosterberges und schon aus der Distanz erkenne ich einen weißen Flecken in der Wand, wo sich ein Gläubiger am Seil die Wand nach oben begibt. Warum Äthiopiens Kirchen und Klöster teils so unzugänglich sind hat sicherlich historische Gründe, weil man sie vor Invasoren schützen wollte. Im Falle von Debre Damo, war es auch so, dass es während einige Jahrhunderte ein Verließ für abtrünnige Adelige war. Da macht diese natürlich 15 Meter hohe Wand als Barriere vor Invasion und Flucht durchaus Sinn, aber gläubige Äthiopier haben eine andere Interpretation des Ganzen.
Debre Damo soll einst im sechsten Jahrhundert von dem Mönch und Missionar Abuna Aregawi gegründet worden sein. Gott orderte ihn an auf dem Tafelberg eine Kirche zu bauen doch als der Mönch keinen Weg nach oben fand, sendete Gott ihm eine Schlange zu Hilfe an deren Körper Aregawi sich nach oben ziehen konnte. Und noch heute erinnert das Lederseil an diesen Mythos über die Klostergründung von Debre Damo. Am Fuße des Klosterberges sammeln sich heute Morgen hunderte Gläubige in Trauer, denn einer der Mönche des Klosters ist verstorben. Nur Männern ist es gestattet den Klosterberg zu betreten, weswegen ein Teil der Trauerfeier am Fuße des Berges stattfindet. Hunderte in weiß gekleidete Trauernde sammeln sich um den Sarg, der schließlich an ebenjenem Lederseil in die Höhe gezogen wird, um auf dem Klosterfriedhof hoch oben auf dem Tafelberg beigesetzt zu werden.

radreise äthiopien

Mönche etwas abseits der Trauerfeierlichkeiten | Foto: Christian Sefrin

Und ich bin mittendrin. Auch für mich sind diese religiösen Ereignisse immer etwas besonderes, denn sie sind umgeben von einer besonderen Aura. Sie beleben die oft zu den Besuchszeiten ruhigen und leblosen alten Gebäude und geben Einblicke in die tiefe Religiosität der Äthiopier. Immer wieder rührt mich dies zutiefst auch wenn ich selbst mich keinesfalls als gläubigen Menschen bezeichnen würde. Aber in Äthiopien sehe ich, dass der Glaube den Menschen an Halt gibt, welchen sie auch benötigen in einem sehr entbehrungsreichen Leben.
Und ich bin mittendrin. Auch für mich sind diese religiösen Ereignisse immer etwas besonderes, denn sie sind umgeben von einer besonderen Aura. Sie beleben die oft zu den Besuchszeiten ruhigen und leblosen alten Gebäude und geben Einblicke in die tiefe Religiosität der Äthiopier. Immer wieder rührt mich dies zutiefst auch wenn ich selbst mich keinesfalls als gläubigen Menschen bezeichnen würde. Aber in Äthiopien sehe ich, dass der Glaube den Menschen an Halt gibt, welchen sie auch benötigen in einem sehr entbehrungsreichen Leben.
radreise äthiopien

Jahrhunderte altes Pergament im Debre Damo Kloster | Foto: Christian Sefrin

Heute alleine Debre Damo zu besuchen lässt mich diese Besonderheit dieses Ortes wieder spüren, ich werde förmlich dazu gedrängt mit den Mönchen hier oben zu Mittag zu essen, was mich beim Anblick der mit Algen überzogenen Wasserbrunnen nicht unbedingt dazu befähigt genussvoll zuzulangen, aber eine wirkliche Alternative, um diese Einladung herum zu kommen habe ich nicht. Wieder löse ich Verwunderung und Gelächter aus, als ich den Mönchen erzähle, dass ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Wirklich glauben können sie dies nicht und die Vorstellung, dass ich noch einige weitere Wochen auf dem Sattel vor mir habe glauben sie nicht wirklich. Doch für mich stellt sich am kommenden Tag wieder die Frage, wohin ich weiter möchte. Doch zunächst wartet ein charmanter Aufstieg auf über 3.000 Meter auf mich.

Fortsetzung folgt …


Passende Begleitliteratur

reiseführer äthiopien

Reiseführer Äthiopien: Unterwegs im ältesten Kulturland Afrikas von Christian Sefrin

Kompakt und informativ reisen Sie mit meinem Wissen und persönlichen Empfehlungen aus meinen über zehn Jahren in Äthiopien.

Neben aktuellen Reisetipps und vielen Hinweisen zur Reisevorbereitung bietet dieser Trescher-Reiseführer umfassende Hintergrundinformationen über Geschichte, Natur und Kultur Äthiopiens und ermuntert auch abseits der Touristenrouten unterwegs zu sein.


Ich begleite Sie als Reiseleiter gerne zu Ihrem persönlichen Reiseabenteuer. Alle Reiseleitungen von mir finden Sie hier. Alle Reisen werden von etablierten und erfahrenen deutschen Reiseverastaltern durchgeführt.

Via Verde Reisen
wanderreise äthiopien
radreise äthiopien


Comments are closed.